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Frank Richter - 1a-faksimile
 

Die Bilderbibel von den Haag
Das Haager Bibel-Bilderbuch aus Saint-Bertin in Saint-Omer

                                               
Von reinen Bilderbüchern hielt das Mittelalter nichts; man hat kaum ein einziges hergestellt, das textlos über die Jahrhunderte gekommen wäre. Wenn dann doch einmal eines auftaucht, das wirkt, als habe es zunächst nur durch Bilder sprechen wollen, fragt moderne Wissenschaft sofort, aus welchem Zusammenhang denn die Bilder gerissen sein mögen.
In doppeltem Sinn trifft das für eine hinreißende Sammlung von großen Miniaturen zu, die in der Königlichen Bibliothek von Den Haag unter 76 F 5 als Bilderbibel geführt werden, obwohl die Themen weit über die biblischen Geschichten hinausgehen. Ursprünglich waren die ganzseitigen Miniaturen ohne Text angelegt; doch hat man dann noch im Mittelalter die leeren Rückseiten für unterschiedlichste Texte genutzt, darunter eine Klage Jerusalems gegen den Hof von Rom aus der Feder des Huon de Saint-Quentin. Die neuere Forschung hingegen fragt nach einem ursprünglichen Zusammenhang, und vermutet ihn, freilich mit großem Fragezeichen: Demnach soll es sich um den Bildteil eines verlorenen oder wenigstens nicht identifizierten Pracht - Psalteriums handeln.

Vor Psalterhandschriften hat man gern dichte Bildfolgen geschaltet, die auf unterschiedliche Weise Themen aus der Bibel und der Heilgeschichte sowie aus dem Heiligenleben veranschaulichen. Besonders gern geschah das in jenem Raum zwischen Paris, Flandern und England, der gerade im Hochmittelalter so viel Großes für die religiöse Kultur und für die Buchgeschichte hervorgebracht hat. Doch so gut auch der Umfang von 47 Blättern kräftigen Pergaments zu einem Psaltermanuskript passt, so nachdenklich macht die erstaunliche Größe dieses Quartbandes (mit 255x165 mm). Pracht - Psalterien sind in der Regel deutlich kleiner!
Nun stammen die Miniaturen aus einer der großen Benediktinerabteien Nordfrankreichs: Saint Bertin in Saint - Omer. Der heilige Bertinus nimmt in der Reihe der dargestellten heiligen Prälaten eine ganz besondere Rolle ein; und der Stil passt in die Pikardie wie nach Flandern. Die Bilder entstanden zu einer Zeit, als man dort schon gotische Kathedralen errichtete, aber in der Buchmalerei noch romanischen Traditionen treu blieb: Ins letzte Jahrzehnt vor 1200 datiert man die Bilder, hundert Jahre später die meisten hinzugefügten Texte.

                       
Die Entstehungszeit zeigt sich aber noch viel handgreiflicher: In der heutigen Bildfolge eröffnet der Band mit einer Darstellung der Stadt Jerusalem. Sie gehört nicht nur wegen ihres eindrucksvoll schematischen Charakters zu den berühmtesten Bildern ihrer Art, sondern vor allem durch das blitzartige Auftauchen von Kreuzrittern im unteren Streifen, die von links eindringen und die Sarazenen in die Flucht schlagen. Damit wird der Dritte Kreuzzug angesprochen, den der Verlust der Heiligen Stadt 1187 auslöste: Die Franzosen führte Philippe II Auguste und die Engländer Richard Löwenherz, nachdem den Deutschen 1190 ihr Kaiser Friedrich I. Barbarossa im türkischen Saleph ertrunken war. Der Haager Jerusalemplan mit dem Triumph der Kreuzritter zeigt nur die Hoffnung auf die Vertreibung des Sultans Saladin; denn außer der Rückeroberung von Akkon erreichte der Kreuzzug nichts.

Das Beispiel zeigt bereits, dass von einer Bilderbibel nicht wirklich die Rede sein kann, weil Kreuzzüge nicht zur biblischen Erzählung gehören. Doch setzt der anschließende Zyklus der 45 ganzseitigen Miniaturen, die immerhin etwa 220x150 mm messen, mit einer ungewöhnlichen, geistlich und geistig höchst interessanten Auswahl von Ereignissen aus dem Alten Testament ein, in die allerdings auch Einzelbilder späterer Ereignisse eingefügt sind. Von dort gelangt man über die Heilsgeschichte des Neuen Testaments zu Heiligenbildern sehr unterschiedlicher Art. Die einzelnen Bildseiten erstaunen zuweilen durch raffinierte Kombinationen. Chronologische Schilderung interessiert hier sehr viel weniger als die Veranschaulichung von Heilstatsachen bis hin zu überwältigenden Bildern des Jüngsten Gerichts am Schluss des Bandes, die den Vergleich mit Ähnlichem in Psalterien aus Thüringen und Sachsen herausfordern.

Dabei haben die ganzseitigen Miniaturen, auch wenn sie meist in bis zu vier Bildfelder eingeteilt sind, die machtvolle Kraft romanischer Malerei, wie man sie von Wandbildern her kennt. Mit starker Kontur werden die Formen umrissen, machtvolle Farben mit Gold lassen die einfachen Szenen schlüssig hervortreten. Physiognomisch wird zuweilen derb zwischen Gut und Böse unterschieden; das gilt schon für Kain im Gegensatz zu Abel; durch die Mimik verstärkt wird diese Art der Charakterisierung bei den Heiligenmartyrien, die sich an die biblischen Erzählungen anschließen.
So berühmt und in Abbildungen weit verbreitet auch die Miniatur von Jerusalem im Zeichen der Kreuzzüge geworden ist, so unentschieden hat die wissenschaftliche Literatur in den immerhin fast hundert Beiträgen die Probleme der Handschrift erfasst. Typisch ist ein jüngst erschienener verdienstvoller Aufsatz, der nach guter Erschließung des Bestands damit endet, man könne nun mit der Erforschung beginnen.

In der Tat ist das Manuskript eine Fundgrube von erstaunlichem Reichtum, beeindruckend in seiner Farbkraft und der unerhört packenden Art von Schilderung. Der Leiter der Handschriftensammlung in Den Haag Ed van der Vlist wird mit großem Sachverstand den komplexen Aufbau des Buchs und seiner Texte, die ungemein komplizierte Zusammenfügung der Bilder und die wechselvolle Geschichte der nachgetragenen Texte mit ihrer Bedeutung für die Zeit und das Klosterleben untersuchen, und Eberhard König, zurzeit am Netherlandish Institute for Advanced Studies und an der Königlichen Bibliothek in Den Haag wird sich mit der Kunst auseinandersetzen, die in diesem Buch so eindrucksvoll und heftig ins Auge fällt.

Handschriften aus dem Umfeld dieses einzigartigen Bilderbuchs in seinem stattlichen Format sind bisher kaum in Faksimiles erschienen. Der Reiz geht ganz von den insgesamt 168 Bildern in stattlichem Quartformat aus, von denen die meisten ähnlich wie die Kreuzritter vor Jerusalem das durchbrechen, was Liebhaber und Liebhaberinnen des Mittelalters kennen!

Zusammenfassung:

Datum:
Ende des zwölften Jahrhunderts
Besitzer:
Königliche Bibliothek in Den Haag, ms. . 76F5
Format:
255 x 165 mm
Länge:
94 Seiten
Quelle:
Saint-Omer, Abtei St. Bertin. Northwestern France
Buchmalerei:
45 ganzseitige Miniaturen
Einband:
Grüner Samt mit Silberbeschlägen
Sprache:
Latein und Französisch
Kommentar:
Spanisch und Deutsch(in Arbeit)

 

 

 

 

 

 


Preis: EUR 4.800,00

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